Presseartikel


Täglich' Brot dank einer New Yorker Idee

Hanauer Tafel blickt auf zehnjähriges Bestehen zurück - Stühle vor dem Goldschmiedehaus versteigert



Hanau (lok). Die Tafeläden in Deutschland sind ein Beleg dafür, dass diese Gesellschaft in Schieflage geraten Ist. 650 000 Tonnen Lebensmittel im Jahr: So viel Nahrung verteilen die Tafelläden inzwischen an Bedürftige. 1993 gab es die erste derartige Einrichtung in Bcrlin. 16 Jahre später Ist die Zahl der Tafelläden auf 844 und 2000 Ausgabestellen angestiegen. Das zehnjährige Bestehen der Hanauer Tafel war Anlass, im Rahmen einer Diskussionsrunde in der Alten Johanneskirche eine kritische Bilanz zu ziehen.
Außerdem gab es am zweiten Tag des Jubiläums einen Gottesdienst in der Marienkirche, eine akademische Feier sowie eine Versteigerung von 80 Stühlen auf dem Altstädter Markt, die von Künstlern und Schülern eigens für diesen Anlass kreiert worden waren. Fernsehjournalist Frank Lehmann aus Steinheim sorgte als Auktionator mit seiner unnachahmlichen Moderatoren-Art dafür, dass ein hübsches Sümmchen zugunsten der Hanauer Tafel zusammen kam. So ersteigerte beispielsweise Sparkassen-Vorstandsmitglied Ilona Ziesel eine schreiend bunte Pop-Art-Sitzgelegenheit für 500 Euro. Außerdem sorgte das Hanauer Kernstadtprinzenpaar für eine handfeste Überraschung. Ulrike I. und Andreas III. übergaben eine Spende in Form eines VW Caddy. Der gebrauchte Lieferwagen ist durch Spenden finanziert worden, so unter anderem durch den Verein Lustige Geeleriebe. Ihre Majestäten waren mit dem Auto vorgefahren, um der Tafelladen-Chefin Petra Thomanek die Autoschlüssel zu überreichen.
Bei der Diskussionsrunde in der Alten Johanneskirche am Abend zuvor hieß es, die Tafelläden dürfen vor allem kein Reparaturwerkzeug einer verfehlten Politik sein und den bestehenden Zustand nicht zementieren. Kein Sozialamt dürfe - wie bereits geschehen - auf die Idee kommen, Sozialleistungen zu streichen, weil ein Sozialhilfeempfänger für 30 Euro Lebensmittel aus dem Tafelladen erhalte. Solche und ähnliche Punkte standen im Mittelpunkt einer Diskussion zwischen Hans Mengeringhaus vom Bundesverband Deutscher Tafeln, Pfarrer Gerd Bechtel vom Diakonischen Werk Kurhessen-Waldeck, Pfarrer Christian Lisker von der Stiftung Lichtblick, Petra Thomanek, Leiterin der Hanauer Tafel, sowie Mitarbeitern und Tafelkunden.
Die Tafelläden sollten für die Politik ein Stachel in der Wunde sein. Denn wo es Tafelläden gibt, sei dies ein Zeichen dafür, dass es Armut gebe. Eine Millionen Menschen werden deutschlandweit bereits wöchentlich versorgt, davon 250 000 Kinder und Jugendliche. Sowohl die ehrenamtlichen Helfer als auch die hauptamtlichen Mitarbeiter der Träger sollten Position beziehen, damit der Zunahme der Armut Einhalt geboten wird. Die Politiker vor Ort sowie die Bundestagsabgeordneten sollten für die drastischen Veränderungen in der Gesellschaft sensibilisiert werden. Im Falle Hanaus heißt dies zum Beispiel, dass sich das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich dadurch zeigt, dass Woche für Woche die Schlangen vor dem Tafelladen auf dem Altstädter Markt länger werden. Konkret heißt dies, dass in Hanau 2000 Menschen Lebensmittel von der Tafel erhalten. "Die Warteliste von 80 Personen kann Schlagartig abgebaut werden, wenn der Tafelladen im Juni in sein neues und größeres Domizil im ehemaligen EAM-Gebäude in der Hospitalstraße umzieht", schätzte Thomanek.
"Viele wissen Mitte Monats nicht mehr, wo sie das Geld fürs Essen hernehmen sollen. Darunter sind Inzwischen zunehmend Familien mit eigenem Haus", sagte Mengeringhaus zum Thema "Neue Armut". Wie in Hanau alles anfing, das beschrieb Hans Mener, früherer Dekan des Kirchenkreises Hanau-Stadt. Mener hatte Mitte der 90er Jahre damit begonnen, mit seinem PrivatKombi von Supermärkten Lebensmittel einzusammeln, nachdem er von einer Filialleitern erfahren hatte, dass Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen waren, weggeschmissen werden. Die Kisten mit Obst und Gemüse stellte er auf den Gehsteig vor der Kreuzkirche in der Hanauer Karl-Marx-Straße ab. Unter jenen Menschen im Stadtteil, die wenig hatten, sprach es sich schnell herum, dass es an der Kreuzkirche kostenlos Lebensmittel zum Abholen gab. Als der Aufwand in punkto Logistik zu groß wurde, hatte sich Mener umgeschaut, wie man die Hilfe auf professionelle Beine stellen könnte. Die Stiftung Lichtblick erklärte sich bereit, das Projekt zu organisieren. "Der damalige Lichtblick-Geschäftsführer Lothar Hain war von der Idee begeistert", schilderte Mener.
Die Tafelladen-Idee hat laut Hans Mengeringhaus ihren Ursprung in New York. Weil dort 1983 der damalige Bürgermeister im Zuge einer "Stadtbereinigung" die Obdachlosen aus der Stadt per Erlas hinauskomplimentierte, weil sie angeblich nicht in das Bild einer modernen Einkaufsstadt passten, bildeten sich Initiativen, um den Verjagten zu helfen. Die Helfer hatten beobachtet, wie die Armen aus den riesigen Abfallcontainern der Supermärkte Nahrungsmittel fischten. Die Ehrenamtlichen schafften daraufhin Busse an, um die Supermärkte abzuklappern und nach Essbarem zu bitten. Deren Chefs gaben bereitwillig Lebensmittel ab, die sonst im Müll gelandet wären.
Berliner lernten 1993 bei einem Infobesuch in New York das Projekt kennen und gründeten gleich ein paar Monate später in Berlin den ersten Tafelladen Deutschlands. Das Modell funktionierte auch hier, weil generell in deutschen Lebensmittelmärkten nach Angaben von Hans Mengeringhaus 20 Prozent der Waren sowieso in den Müllcontainer wandern. Diese Mentalität der Wegwerfgesellschaft sorgt zum einen dafür, das Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt werden können. Zum anderen bezahlten aber sämtlich Kunden den Preis für die weggeworfenen Waren mit, eigentlich eine untragbare Situation. All dies sei in der Kalkulation der Konzerne inbegriffen.
Die Lebensmittelketten profitierten von der Arbeit der Tafelläden. Sie sparten dank der Arbeit der Ehrenamtlichen Kosten für die Entsorgung von Lebensmitteln. So gehörten zudem viele große Ketten inzwischen zu den Sponsoren der deutschen Tafelläden. Zudem habe Inzwischen beispielsweise der Automobilkonzern Mercedes den 500. Lieferwagen mit Kühleinrichtung als Spende übergeben. um die Arbeit der Tafelläden zu unterstützen.

Hanauer Anzeiger vom 06.05.2009